37. Kapitel

 

Sie kommen!«

Mikhail erschrak über die jähe Veränderung, die in Nell vorging. Sein Blick huschte zu den Kindern, dann zum Fenster. Es war zu dunkel! Er konnte keinen von James' Wachposten sehen.

»Das Haus wird gut bewacht, Nell.«

Nell hielt sich wimmernd den Kopf.

»Die werden sie nicht aufhalten können! O mein Gott!«

Mikhail packte sie bei den Armen und schüttelte sie. »Wer denn, Nell? Wer? Wen hast du gesehen?«

»Keine Zeit! Sie sind fast da! Sie sind unglaublich schnell. Sie werden uns kriegen!«

Nell riss sich los und nahm die Kinder auf die Arme. Panisch blickte sie sich um. Mitja und Katja, die ihre Angst spürten, begannen zu weinen.

Mikhail trat rasch ans Klavier, nahm ein Notenblatt und einen Stift, den er zwischen Angelicas Büchern fand.

»Konzentriere dich, Nell, sag mir alles, was du gesehen hast. Ich brauche Details.«

»Mikhail, sie sind ganz nahe«, wimmerte sie und schaukelte die Kinder in ihren Armen.

»Nell, rede! Was siehst du?«

Nell blinzelte, sein barscher Ton schien sie zur Besinnung zu bringen. Sie drückte die Kinder an sich.

»Sechs Männer in schwarzen Mänteln. Sie sind beritten Sie sind auf dem Weg hierher. Ihre Augen sind schwarz kohlschwarz. Und ihre Zähne ...«

»Konzentrier dich, Nell!«, befahl Mikhail. Sie nickte, gehorsam wie ein Kind, zitterte dabei jedoch wie Espenlaub.

»Sie halten ganz in der Nähe an. Einer erwähnt den Namen Ramil. Sie reden. Ich kann nicht verstehen, was sie sagen. Aber es ist von York die Rede und von Rumley. Und dann lachen sie.«

Mikhail kritzelte alles auf die Rückseite des Notenblatts.

»Und dann?«

»Dann reiten sie hierher. Einer der Wachtposten gibt einen Schuss ab ...«

Ein Gewehrschuss zerriss die Stille. Mikhail erschauderte, doch dann handelte er. Es gab keine Zeit zu verlieren. Er stellte das Notenblatt auf den Ständer und ging dann zu Nell und den Kindern.

»Sie werden uns fangen, alle«, flüsterte sie, den Blick flehentlich auf ihn gerichtet. Mikhail schaute sich nach einer Waffe um, doch als Nell dies bemerkte, sagte sie: »Gegenwehr ist zwecklos. Sie würden dir bloß wehtun.«

Von draußen drang Kampflärm herein. Nicht mehr lange, erkannte Mikhail. Er tat das Einzige, was er noch tun konnte, und nahm Nell und die Kinder in seine Arme.

»Hör zu, Nell. Hör mir gut zu. Diese Männer da draußen, das sind Vampire.«

»Nein! Das ist unmöglich! Unmöglich!« Nell wehrte sich, versuchte sich loszureißen, aber er hielt sie fest.

»Du hast sie gesehen, Nell. Ihre schwarzen Augen, die Fangzähne. Das sind Vampire, und sie werden uns fangen. Aber wenn sie uns töten wollten, würden sie das gleich hier tun.«

Nell wehrte sich, wollte weglaufen. Wohin, wusste sie selbst nicht.

»Nell, bitte, du musst ruhig bleiben. Um der Kinder willen Glaub mir, Patrick, Alexander und Ismail werden uns suchen. Was immer sie tun müssen, sie werden uns finden.«

Nell wimmerte, hatte aber aufgehört, sich zu wehren.

»Ganz ruhig. Es wird alles gut.«

Mikhail spürte sie unter seinem Kinn nicken. Er streichelte ihr Haar und küsste die Köpfe der Kinder. Sie weinten noch immer, aber mit weniger Vehemenz.

»Falls du einen töten musst: ein Stich ins Herz oder den Kopf abschlagen, alles andere wäre wirkungslos. Hast du verstanden?«

Ein lautes Krachen ertönte: Die Angreifer hatten die Haustür eingetreten. Mikhail hielt Nell und die Kinder fest an sich gedrückt; schon bald würde man sie trennen.

»Hab keine Angst, Nell. Hab keine Angst.«

»Aber hallo!«

Ein großer blonder Mann betrat grinsend das Musikzimmer. Er hatte kohlschwarze Augen - genau, wie Nell es beschrieben hatte. »Na so was, der Bruder der Auserwählten! Was für ein unerwarteter Bonus.«

Drei weitere Vampire tauchten hinter dem Blonden auf. »Ihr nehmt die Kinder und du die Frau. Der Wissenschaftler wird sie gebrauchen können.«

»Und der feine Pinkel?«, fragte einer höhnisch. Der Blonde grinste Mikhail an und zeigte dabei seine scharfen Fangzähne.

»Den nehme ich selber.«

Mikhail musste hilflos mit ansehen, wie Nell und die Kinder fortgebracht wurden. Alles in ihm schrie danach zu kämpfen, sich zu wehren, sie zurückzuholen. Sein Herz klopfte wie wild, das Blut hämmerte ihm in den Ohren seine Fingerspitzen kribbelten. Wie gern hätte er den Vampir vor sich angegriffen.

Aber er bewegte sich nicht. Nell hatte gesagt, er würde sich dabei bloß verletzen. Besser, er sparte sich seine Kräfte für später auf. Und wenn diese Mistkerle glaubten, er würde sich nicht wehren, würden sie ihn vielleicht nicht ganz so scharf bewachen. Und genau das wollte Mikhail.

Nachdem er diese Entscheidung getroffen hatte, warf er dennoch einen Blick auf einen Hocker.

»Willst du gegen mich kämpfen, Menschlein?« Der blonde Vampir grinste. Es war offensichtlich, dass ihm nichts lieber wäre.

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